
Benny Morris kommt herum.
Am letzten Freitag war er mit einem Text in der New York Times vertreten, seit dem gestrigen Samstag ist die deutsche Übersetzung bei WELT online zu lesen. Allerdings lief der Beitrag in der NYT noch als Op-Ed, also einem Meinungsbeitrag, während WELT online ihn als „Analyse“ veröffentlichte.
Von der Redaktion vorangestellt wurde dem Text folgender Vorspann.
Im Nahen Osten droht noch in diesem Jahr ein Krieg mit Atomwaffen, meint Buchautor Benny Morris. Er erklärt, warum ein israelischer Angriff unausweichlich wird, wenn das Regime in Teheran sein Nuklearprogramm nicht bis zum Herbst einstellt. Sogar der Zeitraum eines möglichen Angriffs steht bereits fest.
Da wird man neugierig.
Doch vorab noch ein Wort zum „Buchautor Benny Morris“. Bekannt geworden ist er als einer der „neuen Historiker“, die das offizielle israelische Bild der eigenen Gründungsgeschichte mit gründlich recherchierten Studien korrigierte. Die Palästinenser hatten nicht, wie so gern behauptet, das Gebiet des heutigen Staates Israel freiwillig verlassen, sondern sei waren systematisch und nicht selten mit Gewalt vertrieben worden. Morris hatte die Dokumente gefunden, die dies belegen.
Diese Erkenntnisse machten ihn aber nicht zu einem Sympathisanten palästinensischer Interessen. Ganz im Gegenteil. In Interviews verteidigte er die Verbrechen, die er selbst aufgedeckt hatte, und kritisiert, dass sie nicht rigoros genug durchgeführt worden seien. Die „ethnischen Säuberungen“ (wie er es selber nannte) seien gerechtfertigt gewesen und er warf den damaligen israelischen Politikern vor, nicht gleich alle Palästinenser, die zwischen dem Mittelmeer und dem Jordan leben, gesäubert zu haben. Ein verblüfftes Publikum wurde eines Mannes ganz ohne jede moralische Skrupel gewahr, der Gewalt und Vertreibung für absolut legitime Mittel hält (eine ausführlichere Darstellung der Positionen Morris‘ veröffentlichte gestern die National und befindet sich hier)
In den letzten Monaten hat er sich nun der „iranischen Bedrohung“ gewidmet und auch hier stellt sich heraus, dass Morris über keinerlei Skrupel verfügt. Anders als bei seinen Studien zur israelischen Siedlungspolitik hat er nun aber nicht nur Probleme mit der Moral sondern auch mit den einfachen Fakten.
Er eröffnet seine „Analyse“ gleich mit einem Paukenschlag:
Israel wird in den kommenden vier bis sieben Monaten die iranischen Atomanlagen angreifen. Das ist so gut wie sicher, und die Politiker in Teheran und Washington sollten innig hoffen, dass der Angriff erfolgreich ist und das Atomprogramm Irans beträchtlich zurückwirft, wenn nicht völlig ausschaltet. Denn sollte der Angriff fehlschlagen, gibt es im Nahen Osten höchstwahrscheinlich einen Atomkrieg.
Dann geht es hoppla hopp durch die Tiefebene der politischen Argumentation.
[J]eder Geheimdienst auf der Welt geht davon aus, dass Irans Atomprogramm die Herstellung von Waffen und nicht die friedliche Nutzung der Kernkraft zum Ziel hat.
Tatsächlich? Im Dezember letzten Jahres hatten aber die 12 amerikanischen Geheimdienste gemeinsam kund getan, dass der Iran im Jahr 2003 Pläne für den Bau einer Atombombe eingestellt habe. Seither haben die zwölf diese Einschätzung nicht korrigiert.
Die Internationale Atomenergiebehörde, die seit fünf Jahren das iranische Nuklearprogramm untersucht, hat zwar einen Haufen Ungereimtheiten, nicht aber einen einzigen Beweis dafür gefunden, dass der Iran an einer Bombe arbeitet.
Westliche Geheimdienste erwarten, dass der Iran binnen ein bis vier Jahren die Bombenproduktion aufnehmen kann.
Selbst wenn es so wäre, würde der Iran es denn auch tun? Die Schlüsselfrage besteht ja gerade darin, ob es gelingen kann, den Iran mit friedlichen Mitteln zum Verzicht auf Elemente (Urananreicherung) zu bewegen, die den Bau einer Bombe erleichtern würden.
Mit dem Für und Wider von Verhandlungen mag sich Morris aber erst gar nicht abplagen, sondern für ihn ist klar:
Das lässt der Welt nur eine Option, will sie einen atomar bewaffneten Iran verhindern: die militärische.
Mit der gleichen Forschheit behauptet er mehr als dass er ableitet, die USA wären derzeit zu einem Militärschlag nicht in der Lage, um dann flink dazu überzugehen, dass deshalb Israel tun wird, was getan werden muss.
Die politische Spitze Israels, allen voran Premierminister Ehud Olmert, hat sich festgelegt: Die iranische Bombe bedeutet die Zerstörung Israels. Der Iran darf nicht in den Besitz der Bombe gelangen.
Es gibt nur ein Problem. Man kann nicht sicher sein, ob ein israelischer Luftangriff den Iran tatsächlich stoppen wird.
Es ist zwar möglich, dass ein konventioneller Militärschlag Israels – ob erfolgreich oder nicht – die Iraner dazu veranlassen wird, ihr Nuklearprogramm zu stoppen, oder dass er die westlichen Mächte dazu bewegen wird, den diplomatischen und ökonomischen Druck auf den Iran zu erhöhen oder sogar selbst militärisch zu intervenieren.
Das wahrscheinlichere Szenario ist aber, dass die internationale Gemeinschaft weiterhin nichts Ernsthaftes unternehmen und dass der Iran seine Bemühungen beschleunigen wird, die Bombe herzustellen, die Israel zerstören kann.
Aller Wahrscheinlichkeit nach werde der Iran zurückschlagen und so in die Enge getrieben, bliebe Israel eigentlich nur noch eine Wahl:
[S]ie greifen an und beantworten die iranischen Gegenschläge, die den Einsatz chemischer und biologischer Sprengköpfe enthalten könnten, mit der Eskalation des Konflikts. Dann könnte Israel mit dem einzigen Mittel zuschlagen, das die Ausschaltung des iranischen Atomprojekts sicherstellt, nämlich seinem Nukleararsenal.
Ganz abgesehen von der Frage, mit welchen Raketen der Iran welche chemischen oder biologischen Sprengköpfe auf Israel abfeuern soll, spätestens an dieser Stelle sollte eigentlich jeder Mensch bei klarem Verstand einhalten und sich fragen, wie kann man denn so ein Horrorszenarium verhindern.
Nicht so Morris. Aus seinem „Israel könnte“ wird immer mehr ein „Israel müsste“.
Angesichts der fundamentalistischen, zur Selbstaufopferung bereiten Haltung der Mullahs wird die Abschreckung vielleicht nicht funktionieren. Folglich ist ein israelischer Atomschlag wahrscheinlich. Bleibt die israelische Präventivaktion aus, dürfte ein nuklearer Angriff des Irans auf Israel erfolgen, sei es aus ideologischen Gründen, sei es aus Angst vor einem israelischen Erstschlag. Das wiederum ließe eine israelische (oder amerikanische) Vergeltung erwarten. So oder so aber droht in Nahost ein nuklearer Holocaust.
Liest man diese „Analyse“ zu Ende, dann wird deutlich, dass Morris allenfalls ein Schulterzucken für die Konsequenz dessen übrig hat, was er seinen Lesern da weiß machen will.
Aus alledem folgt, dass die politischen Führer des Iran gut daran täten, ihr Vabanquespiel zu überdenken und ihr Atomprogramm ruhen zu lassen. Tun sie das nicht, sollten sie alles unternehmen, damit Israels konventioneller Luftangriff auf die Atomanlagen ihres Landes erfolgreich ist. Ohne Frage wird ein solcher israelischer Militärschlag Tausende Opfer fordern und mit einer internationalen Demütigung Teherans einhergehen. Doch die Alternative besteht in einem zu atomarem Ödland reduzierten Iran.
Für den Nachweis, dass Morris, Dozent an der Ben-Gurion-Universität in Beerscheba, nicht den geringsten Schimmer hat, wovon er da eigentlich redet, gibt es ein anderes Blog. Hier geht es mir mehr um die moralische Frage.
Eingekleidet in eine „Logik“ der Zwangsläufigkeit plädiert Morris für einen präventiven Atomschlag gegen den Iran. In einem Interview mit dem österreichischen Standard am 9. Mai wurde er noch ein wenig direkter.
Morris: Die letzte Chance ist der Einsatz einer israelischen Atombombe, um das iranische Atom-Programm zu stoppen. Das ist die Richtung, in die die Welt den Nahen-Osten und Israel drängt, weil es verabsäumt wurde wirksame wirtschaftliche Sanktionen zu verhängen und damit den Iran auf friedlichem Weg zu stoppen. Es reduziert sich also auf die Frage, ob Israel zerstört wird, oder der Iran zerstört wird. Und ich hoffe die Israelis verstehen, dass es besser ist den Iran zu zerstören, als selbst zerstört zu werden. …
Standard.at: Sehen Sie noch Chancen auf eine diplomatische Lösung?
Morris: Nein, sehe ich nicht. Das ist alles Nonsens. Die Iraner betrügen und lügen und wollen ihr Programm nicht aufgeben. Sie spielen ein Spiel mit dem Westen. Die wirtschaftlichen Sanktionen sind nie ernsthaft angewendet worden.
Also: den Atomschlag, um einen Atomschlag zu verhindern. Besser Iran wird zum „atomaren Ödland reduziert“ als Israel.
Das ist moralisch ähnlich korrupt wie die Rechtfertigung von Gewalt und Vertreibung als Mittel israelischer Politik. Es ist nur eine gewaltige Nummer größer.
Man mag einwenden, dass es sich bei Morris um einen vereinzelten Spinner handele, ein Ultra-Rechter, der noch Ahmadinejad in den Schatten stellt. Immerhin glaubt Ahmadinejad, Israel werde sich selbst zerstören. Gewalt sei weder notwendig noch vom Iran geplant.
Nur: weder die NYT noch die WELT würden Ahmadinejad die Gelegenheit geben darzulegen, warum Israel aus „den Seiten der Geschichte“ verschwinden sollte.
Und: Ahmadinejad erntet einen Sturm der Empörung. Bei Morris scheint kaum jemand Anstoß daran zu nehmen, wenn er das Ungeheuerliche als zwangsläufig darzustellen versucht.